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Zaunreiterin

Haggar Suzza. Hexe. Unser Alt-68’er behauptet, er hätte erst Letztens wieder eine gesehen. Feuer speiend, wie ein Drache. So ungefähr alle vier Wochen, wie den Vollmond. Ja, es gibt sie noch. Diejenigen, die die verborgenen Ängste eines Menschen ans Tageslicht bringen können. Mit denen er sich auseinander setzen muss. Doch unser Alt-68’er ist Deutscher und neigt daher schnell zu Verbrennungen, damit in seiner Märchenwelt Unheil personalisiert und endlich wird. Ein sehr kindischer Wunsch.

Mit dem Besen die Asche einer verbrannten Welt zusammenkehren – ja, dafür sind wir Frauen dann gut. Wie einst Babajaga, das russische Vorbild der Grimmschen Hexe. Baltische Totengöttin. Mit Schaufel, Mörser, Stößel und Besen. Wie einst viele heidnische Göttinnen im männlichen, deutschen Gedankengut zu Hexen verdichtert wurden. Hel (oder Holda) darf in diesem Weltbild die Kissen aufschütteln und ward von da an Frau Holle genannt. Tragische Historie verklärt sich zu volkstümlichen Mythen, wenn Religion – besonders das Christentum – ins Spiel kommt und der Pöbel unruhig wird in einer kalten Welt.

Der Plot: Ein zersplittertes heiliges römisches Reich deutscher Nationen. Rom, die Macht des Papstes noch vor der Macht Gottes. Die unzähligen Reichsfürsten herrschten über ein Häuflein unzufriedener Menschen. Die Ketzer (Katherer) waren längst ausgerottet worden ob des Unglaubens über so viel Anmaßung. Zu allem Überfluss schlich sich die kleine Eiszeit an. Das irdische Dasein ein Jammertal. Doch wer war schuld? Ketzer gab es nicht mehr. Da kam den demokratischen (Wer hat’s erfunden?) Schweizern eine glorreiche Idee: Hexen nannte man die Schuldigen von da an. Das gesunde Volksempfinden schlug mal wieder durch und die Obrigkeit nutzte es zur Festigung ihrer Macht und der Handelwege nach Italien, Deutschland und Frankreich.

An und für sich sind dieses Wesen herätisch – vom rechten Glauben abgefallen. Männlein oder Weiblein erhält seine Macht vom Teufel und nicht vom Großfürst, der dadurch seine Gerichtsfähigkeit bedroht sah. Unverhoffte Hilfe kam von Rom. Großinquisitor Heinrich Kramer verfasste in Nürnberg seinen Malleus Maleficarum. Seinen Hexenhammer. Verfasste! Zum umfassen war er zu feige. Auch zum zustoßen. Das überließ er anderen: Zwang ausüben, Verteidigung verweigern und Aussagen so hinzudrehen, dass sie mit „Geständnis“ überschrieben werden konnten. Jede Antwort wird zum Schuldbeweis. Jeder Freispruch ist zu vermeiden. Crimen Exceptum. So etwas rechtfertigt auch den Tod eines Menschen. Umfassend gesagt, es waren von da an hauptsächlich Frauen, die unter der verklemmten Sexualität eines Mannes zu leiden hatten. Für Kramer war die Femina die Fidus Minus. Die Verkörperung des Bösen schlechthin – weiblich.

Es gärte weiter im Volk. Krieg, Missernten, hohe Kindersterblichkeit, Frostperioden – all das macht die Menschen nicht gerade zufriedener. Schon die alten Römer wussten: Gib einem Volk Brot und Spiele, damit es Ruhe gibt. In Deutschland gab es während des späten Mittelalters ein ganz besonderes Brot: Hundebrot. Weizen gestreckt mit Mohn und sonstigen Kräutern, deren Wirkung heute von jeder Drogenberatungsstelle verteufelt würde. Und das Volk fraß das Brot. Wehe ein Kräuterweiblein hatte das falsche Kraut beigemischt. Da glaubte man zu fliegen. Und da die Herren wohl eher mit Feinden totschlagen beschäftigt waren, erfanden die Frauen die Pappelsalbe (heute Hexensalbe genannt), deren Bestandteile teils betäubend wirken und im Uterus-Bereich aufgetragen, orgasmusähnliche Krämpfe des Unterleibes auslösen können. Die grüne Farbe kam von den Pappelblattspitzen. Die Wirkung von Opium (Mohn) und Belladonna (Tollkirsche). Menschenfett war dereinst günstig zu kriegen. Jeder Henker hatte seinen Bauchladen. Und zudem drang es auch noch schnell in die Haut ein. Noch etwas Lutron dazu und Frau glaubte, tatsächlich auf einem Besenstiel zu reiten. (Hem? Her mit dem Zeug!)

Die Prozesse gegen Hexen reichten nun nicht mehr aus. Jetzt kamen die Verfolgungen. Wo gibt’s auch so was? Eine Frau auch ohne Mann befriedigt? Das darf nicht sein! Die sozialen Schutzmechanismen wurden außer Kraft gesetzt. Denunziation herrschte in den Häusern. Jeder beschuldigte jede. Vor allem ältere Frauen und Witwen wurden „angezeigt“. Frauen wurden grundsätzlich verbrannt. Bevor man sie in der Öffentlichkeit ausgezogen und kahl geschoren hatte. Demütigung. Bei den Evangelen. Die Katholen hatten wenigstens noch so viel Anstand, auch den Männern einen Kräutergürtel umzubinden und sie als Werwölfe zu hängen. Keine Chance für die Angeklagten auf Verteidigung. Jede kann die nächste sein. Terror in seiner reinsten, ausgefällten Form. Schöffen, die die weltlichen Richtersprüche anzweifelten, wurden ebenfalls verfolgt. Nur keine Zweifel aufkeimen lassen. Wo die Angst herrscht, bleibt der Verstand aus und die Macht gestärkt. Bis heute rätseln Wissenschaftler immer wieder, warum diese Grausamkeit ein so deutsches Phänomen ist. Selbst die Iren irrten nicht. Dort gab es keine Hexenverfolgung. Und Amerika? Das waren deutsche Auswanderer. Der deutsche Michel hat nicht nur eine Schlafmütze auf dem Kopf sondern auch eine Sense in der Hand. Die Obrigkeit reibt sich derweilen geschäftig die Hände und grinst sich einen.

Seit der letzte Großinquisitor A.D. 2005 zum Papst gewählt wurde, sind im Vatikan plötzlich Dokumente aufgetaucht, die selbst der römisch-katholischen Kirche einen gewissen Unbill über die Zustände jenseits der Alpen unterstellen. Es soll auch Kritiker der Hexenverfolgung gegeben haben. Nur leider hat sie keiner gehört. Jesuiten wie Friedrich Spee (Cautio Criminalis) stehen wahrscheinlich unter dem Schweigegelübde, während die Dominikaner wohl eher pragmatisch sind.

Die Antwort der Frauen auf die Alt-68’er war eine neue Hexenbewegung Ende der siebziger Jahre. Hervorgebracht durch die besondere, die nicht angepasste Frau. Zurück zur Natur und zur neuen Spiritualität. Die Pille auch mal zur Seite gelegt. Vor allem dann, wenn es keinen Mann mehr braucht. Die Dämonen des Alltags haben unsere Gesellschaft eingeholt. Damit etwas hoch kommt, was unter der Oberfläche schlummert. Die moderne Hexe als Dienstleistungsunternehmerin. Karten legen: 65 Euro. Horoskop 120 Euro. Patchworkreligion als Volksfestkultur. Provokation, mit der sich die Gesellschaft auseinandersetzen soll. Nicht mehr der Verursacher aller Tragödien, sondern die Hoffnung auf eine bezahlbare Antwort.

Also, Kinder, wenn ihr näch(s)tens jemanden auf einem Zaun sitzen seht, winkt mir einfach zu. Ich mache euch ein Angebot. Eure Seele für meine Weisheit. Zu teuer? Dann fahrt doch nach China. Dort bringen Drachen Glück.

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