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Ingenieuse

Leserbrief
zum Artikel „An der Jugendliebe scheitert manche Frauenkarriere“
von Elvira Weisenburger
BNN Nr. 200, Mittwoch den 30. August 2006

Warum zögern Mädchen, einen Ingenieurberuf zu ergreifen? Diese Frage in der Tagespresse zu lesen, wundert mich, denn normalerweise verkaufen die Medien uns Frauen für ein anderes Rollenbild. Das weibliche „Role Model“ des 21. Jahrhunderts hat einen „guten“ Beruf, Mann, Kinder, Haushalt, gesellschaftliche Verpflichtungen, soziales Engagement, Hobbys, … Aus der früher geltenden Doppelbelastung von Beruf und Familie ist eine 4-5fache Belastung geworden. Selbst Superwoman würde an diesen Vorgaben scheitern. Und was den „guten“ Beruf betrifft: Der findet normalerweise im Dienstleistungs-, Sozial- oder Pflegebereich statt. Sekretärin, Stewardess, Krankenpflegerin oder Popstar – aber Ingenieur?

Ich selbst, Jahrgang 1966, Diplom 1989 (Physikalische Technik), habe mein Studium begonnen mit folgenden legendären Worten eines männlichen Professors ob der Anzahl der Erstsemester-Studenten unseres Studienganges: „Achtundvierzig? Maximal die Hälfte wird es schaffen und darunter wird keine einzige Frau sein!“ Und doch haben drei Frauen aus unserem Semester den Abschluss gemacht. Die anderen sechs hat ihr Schicksal eingeholt: Heirat und Kinder. Eine diplomierte Kollegin hat sich dann ebenfalls in die Familie zurückgezogen. Wir beiden anderen halten tapfer im Beruf aus – unverheiratet. Denn Familie und Ingenieurberuf unter einen Hut zu bekommen, ist für eine Frau kaum möglich. Die wirtschaftliche Lage mancher Unternehmen lässt kaum einen dreiwöchigen Urlaub zu, ohne dass man danach von technischen Entwicklungen oder Zahlenvorgaben der Geschäftsführung erschlagen wird. Auch Männer.

Die nächste Herausforderung nach einem Studium ist so mancher Personalchef. Noch vor fünfzehn Jahren sah sich Frau mit der durchaus ernst gemeinten Frage „Was hat Sie als Frau bewogen, einen technischen Beruf zu ergreifen?“ konfrontiert. Doch Frau ist lernfähig. Die Antwort: „Und was bewegt Sie als Mann dazu, so eine blöde Frage zu stellen?“ brachte mir die Anstellung in einem Großkonzern ein. Dort hatte ich nur männliche Kollegen und Vorgesetzte, deren simple Überlebensstrategie sich wie folgt beschreiben lässt: Macht sie was richtig, heften wir’s uns an. Macht sie was falsch, haben wir einen Grund uns fröhlich zu besaufen. Machen wir was falsch, schieben wir’s ihr in die Schuhe. Diese Herren wurden allesamt wiederum Chefs. Die Zähne werden schärfer, wenn du in deinem Job auch noch die drei- bis vierfache Leistung bringen musst, um deine männlichen Kollegen und Chefs mit durchzuziehen. Für 75% des Arbeitsentgeltes. Es ist ein zäher und aufreibender Kampf ins Management. Und man(n) nimmt ihn dir nicht ab, denn es ist ja die Aufgabe einer Frau, die „Gute Seele“ (Mutter) zu sein. Frustrationen hagelt es nicht nur täglich, manchmal stündlich. In die Netzwerke der Macht kommst du als Frau nie wirklich hinein. Die Buben spielen lieber für sich. Auch Frauennetzwerke müssen versagen, denn Frauen halten Mauscheleien nicht für eine effektive Strategie. Wir setzen Ziele um und sind bei so manchem Mann deswegen gefürchtet. Und während die Herren der Schöpfung ausgiebig in ihren Netzwerken aktiv sind, weil zuhause die Ehefrau oder Freundin alles im Griff hat, gehen wir einkaufen, putzen die Wohnung, … etc. Noch ein kleines Bild aus der Praxis: Stellen Sie ein Bild Ihres/r Partners/Familie auf. Sind Sie eine Frau: „Die hat eigentlich nur die Familie im Kopf!“ Sind Sie ein Mann: „Was für ein verantwortungsvoller Mitarbeiter!“

Die Realität für Mädchen in verantwortungsvollen Berufen – nicht nur im Ingenieurberuf – sieht nicht gerade rosig aus. Zudem erziehen heute noch immer vorwiegend Mütter ihre Töchter und Söhne. Das fängt an bei der Farbe des Strampelanzuges und endet bei der Bildung von Werten und Neigungen. Mädchen haben nun mal mit Puppen zu spielen und Jungs mit Autos! Vielen Frauen wird heute noch immer, gutmütig belächelt von Männern, das technische Verständnis abgesprochen. Ein unterschiedlicher Aufbau des Gehirns, unterschiedliche Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozeduren, unterschiedliche Denkweisen und Kognitionen. All das wird von der Wissenschaft nur sehr zäh veröffentlicht. Koedukation auf Teufel komm’ raus. Wir Mädels haben ein anderes technisches Verständnis, lassen uns aber immer einreden, wir seien deshalb „dümmer“.

Es gibt viele Mädchen, die sich für technische Berufe interessieren. Es gibt auch viele Läufer. Aber es gibt relativ wenig Hürdenläufer. Wer will es den jungen Mädchen verdenken, wenn sie die Realität so erschreckt, dass sie den einfacheren Weg wählen? Einen, den die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nicht mit den Worten „gesellschaftspolitischer Blindgänger“ kommentiert, weil die Pflicht auf Leben nicht durch Nachwuchs dokumentiert wird. Vor vierhundert Jahren hätte man sie verbrannt. Heute bezahlen sie im Namen der Gleichberechtigung dafür mehr Steuern, Krankenkassenabgaben, Versicherungsbeiträge, …etc. Die Verbrennung der Büstenhalter war das, was es war: Dreckige, heiße Luft!

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