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Die Legende von der Liebe oder: Wie der Hass in die Welt kam

Es war einmal ein großes Gefühl, das wandelte auf Erden umher. Sorgenvoll betrachtete es die ihn umgebenden Kreaturen, die sich verzweifelt am Leben erhalten wollten. Auf Kosten ihrer Mit-Kreaturen. „Muss das so sein?“ fragte sich das große Gefühl und bekam Mitleid. Es beschloss, dagegen etwas zu unternehmen und fuhr in eine dieser Kreaturen. Es war wirklich ein großes Gefühl und die Kreatur wusste nicht recht, wie ihr geschah. Sie hatte das Gefühl, zu zerplatzen. Und doch sah sie nun ihre Mit-Kreaturen mit ganz anderen Augen. Sie wollte ihnen nicht mehr schaden, nein, sie wollte ihnen helfen. Sie wollte etwas geben, anstatt zu nehmen. Und sie gab und gab und gab. Schon bald erkannte das große Gefühl, dass es nichts bringt, nur in eine Kreatur zu fahren. Also spaltete es sich auf, so dass für jede Kreatur etwas von ihm übrig blieb. Es war ein sehr großes Gefühl. Jeder Kreatur kam etwas zuteil, dass fast noch immer zu groß für diese war. Die Kreaturen waren darauf hin sehr verwirrt und versuchten den Vorgang zu beschreiben. So entstand die Moral. Jede Kreatur, die das Gefühl benutzte, wurde von da an „gut“ geheißen. Jede Kreatur, die das Gefühl verleugnete, bezeichnete man sodann als „schlecht“. Das große Gefühl war verwirrt. Man hatte aus ihm zwei Teile gemacht. Und es beschloss, die Kreaturen aufmerksamer zu studieren, was denn diese so genannte Moral aus ihnen machen würde.

Es war ein Paar unter den Kreaturen. Doch noch war es kein Paar. Das große Gefühl beschloss, die beiden zusammen zu bringen und von ihnen zu lernen. Gegenseitig streckte das große Gefühl seine Hände durch die Kreaturen hindurch aus und berührte seine Fingerspitzen. Da glaubten die Kreaturen, sie gehörten zusammen. Anfangs ließen die beiden Kreaturen das große Gefühl gewähren. Sie machten neue, gemeinsame Erfahrungen. Sie nannten das große Gefühl „Liebe“. Sie fühlten sich eins miteinander und doch waren es zwei Kreaturen, begrenz in ihrem Körper und in ihren Wünschen. Anders in ihrem Verhalten, ihren Vorlieben, ihren Erfahrungen und ihren Zielen. Die gemeinsamen Erfahrungen waren irgendwann aufgebraucht. Es kam nichts Neues mehr hinzu, was die beiden Kreaturen hätten über sich lernen können. So begann jede Kreatur innerhalb dieser Gemeinsamkeit ihre eigenen Ziele weiter zu verfolgen. Das große Gefühl rieb sich die Fingerspitzen, um zu sehen, ob es nicht doch wieder etwas Wärme in diese Situation hineinbringen konnte. Ab und an gelang dies auch. Doch meist zerrte jede der beiden Kreaturen in eine andere Richtung, so dass es dem großen Gefühl fast schwer fiel, die Fingerspitzen beieinander zu halten. Still und leise begann eine der Kreaturen zu resignieren. Sie gab zwar noch, sich und alles, was sie konnte, doch die andere Kreatur suchte mehr und mehr die räumliche Distanz, nahm aber dafür alles mit, was sich anbot, ohne dafür eine adäquate Gegenleistung zu bringen.

Das große Gefühl erschrak über die Traurigkeit, die sich in der einen Kreatur ausbreitete und über die Ignoranz der anderen Kreatur. Lange überlegte es, was es tun könne, die traurige Kreatur zu erfreuen. Es beschloss, sich für diese Kreatur sichtbar zu machen. Langsam, sehr langsam, blendete es sich ein. Die Kreatur erschrak zuerst über den Anblick, der sich ihr bot, sammelte ihre Kräfte und erkannte schließlich ihr Gegenüber. „Wer bist du?“ fragte sie schüchtern. „Ich bin das, was euch zusammen hält!“ antwortete das große Gefühl. Die Kreatur wurde wütend: „So, bist du? Sieh her, was du angerichtet hast. Ein schöner Zusammenhalt. Wo ist denn nun mein Partner?“ „Da, wo er immer war. In seiner Welt.“ Die Kreatur blickte erstaunt auf: „In seiner Welt? Und wo bin ich?“ „Du bist da, wo du immer warst. In deiner Welt!“ antwortete das große Gefühl geduldig. „Und was ist mit UNSERER Welt?“ fragte die Kreatur ungeduldig und Hoffnungslosigkeit stieg in ihr auf. „Jede Kreatur hat nur eine – ihre eigene – Welt!“ erklärte das große Gefühl. „Das, was du UNSERE Welt nennst, ist nichts anderes als eine Illusion von dem, was ihr beide daraus gemacht habt.“ Die Kreatur wurde noch wütender. „Ich habe alles gegeben. Und er?“ „Du hast das gegeben, was deinen Möglichkeiten entsprach und dein Partner hat das gegeben, was seinen Möglichkeiten entsprach.“ Das große Gefühl bekam Mitleid mit der Kreatur, die da so hilflos versuchte, die Tatsachen zu ignorieren. „Das ist nicht genug!“ fuhr die Kreatur das große Gefühl wütend an und Gier blitze in ihren Augen auf. „Was willst du dann?“ fragte das große Gefühl und bekam langsam eine Ahnung davon, dass es Schuld auf sich geladen hatte, zwei so unterschiedliche Kreaturen für seine Neugier benutzt zu haben. „Ich will das, was mir entspricht. Was mir zusteht. Was ich nicht entbehren will.“ Entgegnete die Kreatur nach einigem Zögern. „So!?“ murmelte das große Gefühl und spürte, wie die Kreatur begann, an seiner Hand zu zerren, um die Fingerspitzen von der anderen Hand loszueisen. Es gelang nicht. Da begann die Kreatur, in die andere Richtung zu ziehen. Auf eine solche Taktik war das große Gefühl nicht gefasst und seiner Unaufmerksamkeit war es zu verdanken, dass sich die zweite Hand in der anderen Kreatur von den Fingerspitzen löste. Die Verbindung war aufgehoben. „Such mir eine andere Kreatur, die zu mir passt!“ fuhr die befreite Kreatur das große Gefühl an. „Such sie dir doch selbst, wenn du sie nur erkennst.“ antwortete das große Gefühl beleidigt. „Ja, ich kenne einen, der würde viel besser zu mir passen!“ schnippte die Kreatur zurück. „Bist du sicher?“ „Ja. Wir leben in EINER Welt!“ „Bist du sicher?“ „Ja, wir haben die gleichen Interessen.“ „Bist du sicher?“ „Ja, sieh her, da ist er ja!“ die Kreatur wies mit dem Kopf auf eine andere Kreatur, die gerade des Weges daher gelaufen kam. „Bist du sicher?“ fragte das große Gefühl wieder. „Ja!“ schrie die Kreatur voll Zorn und drückte sich mit aller Kraft gegen das große Gefühl, immer in Richtung der daher gelaufenen Kreatur, so dass die zweite Hand des großen Gefühls plötzlich aus dieser hervorragte. Nun warf sich die wütende Kreatur in die andere Richtung und die Fingerspitzen beider Hände des großen Gefühls berührten sich wieder.

Die daher gelaufene Kreatur wusste plötzlich nicht mehr, was mit ihr geschah. Erschrocken und erfreut nahm sie zur Kenntnis, welche Möglichkeiten sich damit boten. Sie beschloss, diese zu nutzen und erfreute sich an den Ergebnissen. Das große Gefühl wurde wütend über so viel Eigenmächtigkeit der Kreatur und machte sich wieder unsichtbar. Die Kreatur jedoch empfand Stolz über ihren Sieg gegen das große Gefühl. Wie berauscht von dem Ergebnis beschloss sie, dieses jede andere Kreatur spüren zu lassen. Vor allem die Kreatur, von der sie sich befreit hatte. Sie hatte IHREN Partner gefunden. Und sie kostete IHREN Sieg aus. Hohn und Spott hatte sie übrig für alle Kreaturen, denen dies nicht gelang. Sie spürte die ganze Macht in sich, das große Gefühl zu manipulieren und sie zerrte und schob an ihrem neuen Partner, der dies dankbar aufgriff. Neue, gemeinsame Erfahrungen konnten gemacht werden. Und durch die Verbindung bekam auch die daher gelaufene Kreatur den Machtrausch zu spüren. Traurig hatte sich das große Gefühl in sich selbst zurückgezogen und beobachtete die Vorgänge. Beobachtete, wie die beiden neuen Partner sich gegenseitig hoch schaukelten, ihre Macht missbrauchten, Unverschämtheiten austeilten und über ihren Verstand hinaus wuchsen. „Rache“ nannten sie es. Das große Gefühl schüttelte seinen großen Kopf. Kreaturen verstehen nichts! Es würde die Zeit kommen, da würden die beiden Partner feststellen, dass auch sie nur zwei Kreaturen sind. Und das Drama würde sich wiederholen. So oder so.

Da fiel der Blick des großen Gefühls auf die verlassene Kreatur. Voller Mitleid beschloss es, sich auch dieser zu zeigen und machte sich wieder sichtbar. „Was willst du von mir?“ fuhr die verlassene Kreatur das große Gefühl an, das in den beiden neuen Partnern steckte. „Dir helfen!“ antwortete das große Gefühl milde. „Wie kannst du mir helfen? Du hast sie mir weggenommen!“ Trauer, Zorn und Wut brachen aus der Wunde der verlassenen Kreatur hervor, in der noch vor kurzem das große Gefühl gesteckt hatte. „Ich habe sie dir nicht weggenommen. Sie hat mich missbraucht.“ entschuldigte sich das große Gefühl leise. „Missbraucht? Hah! Sieh dich an! Wie du in diesen beiden drin steckst und was sie mit mir machen. Du musst der Hass sein!“ wütend drehte sich die verlassene Kreatur um und suchte einen Weg um weiter zu gehen. Das große Gefühl sah, dass es hier nichts ausrichten konnte und verschwand wieder aus dem Blick der verlassenen Kreatur. Langsam rollte eine große Träne über sein großes Gesicht und es wurde still auf Erden. Darauf beschloss die Weisheit, die anstehenden Versuche erst gar nicht zu unternehmen.

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