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Unterwegs mit Frau Holle

Weiße Pracht im Winter. Wer hätte es gedacht? Hinein ins Auto und Menschen studiert. Beim Fahren kann man viel über seine Zeitgenossen lernen. Erste Kreuzung: rechts vor links. Ich habe Vorfahrt. Besser gesagt: ich hätte Vorfahrt gehabt. Mitten im Schneetreiben ein BMW-Faher ohne Licht. Also gut, fahr halt, du Depp!

Fünfhundert Meter weiter. Eine Grundschule. Zone 30. Kinder kreuzen die Fahrbahn. Hinter mir ein SUV dicker Bauart mit Lichthupe. Setzt an zum Überholen und kommt doch noch neben mir zum stehen. Die Lehrerin, die ihre Schützlinge sicher über die Straße gebracht hat, fasst sich auch an den Kopf.

Noch immer gilt wegen der Bauarbeiten in der Ortsmitte eine Umleitung. Als Hauptverkehrsader die engste Straße des Ortes. Als ob das noch nicht genug wäre, parken seitlich auch noch die Anwohner, um ihre Autos nicht in Hofeinfahrten oder Garagen abstellen zu müssen. Firmament, Gesäß und Nähgarn! Grad noch so zwischen Verkehrsschild und Heiligem Blechle durchgerutscht, bevor der mir entgegenkommende Fahrer meint, ich verursache Blechschäden, komme so zum stehen und er könne an seinem Hindernis ebenfalls vorbei fahren. Er? Nein, sie! So blond wie helle. Wir stehen uns gegenüber. Nichts geht mehr. Wer von uns beiden am lautesten flucht, kann nicht geklärt werden. Auch nicht von dem Anwohner, der währenddessen den Schnee von seinem Gehweg artig auf die Straße räumt. Kehrwoche!

Der Wagen, der hinter mir angerutscht kam, fängt nervös das Hupen an. Nun sind wir schon zu dritt am fluchen. Blondchen quetscht sich ganz nach rechts. Zwischen Hindernis und ihrem Wagen passt ein Blatt Papier. Ich setze auf den Gehweg über und nehme so natürlich Schnee mit. Im Rückspiegel sehe ich noch eine gedrohte Schneeschüppe hinter meinem Fahrzeug her schwingen. Egal, weiter!

Ab nach links. Hinein in eine Straße, bei der sich die Stadtplaner echt Gedanken gemacht haben. Nur welche, erschließt sich mir nicht wirklich. Zuerst ein kleiner Park mit kniehohen Steinen am Rand. Es knirscht an meinem rechten Hinterrad. Treffer, jetzt weiß ich wenigstens, wo sich die eingeschneiten Steine befunden hätten. Dann parkende Fahrzeuge. Nicht auf dem dafür vorgesehenen Parkplatz, sondern mitten auf der Straße, da ist zwar nicht geräumt, aber der Schnee ist ziemlich platt gefahren. Vorne weg ein Transporter. Direkt so geparkt, dass man den Verkehr von rechts nicht sieht. Also langsam rantasten. Hinter mir hupt es schon wieder. Ich fahre über die Kreuzung. Der hinter mir auch und … es kracht. Blechschaden. Nicht bei mir. Ein von rechts kommendes Fahrzeug wurde übersehen, beziehungsweise seine ankommende Geschwindigkeit unterschätzt. Wer rechnet beim überfahren einer Kreuzung auch damit, dass da jemand mit gut 50 Sachen bei so einem Wetter angefegt kommt und nicht bremsen will, um den hinter mir Fahrenden auch noch durchzulassen?

Kurzes Gezeter über die angekratzte hintere Stoßstange meines Hintermannes und weiter geht’s. In die Falle der Fallen. Die Straßen sind mit ihrer Verkehrsberuhigung so ausgelegt, dass just die, die von links kommen, bepflanzte Ausbuchtungen vor sich haben, die so weit weg sind, dass sie nicht sehen können, ob jemand von rechts kommt. Ich bin auf der Gegenfahrbahn. Besser? Denkste! Die, die mir entgegen kommen, fahren natürlich trotzdem. Blockieren die Vorfahrt der von rechts Kommenden und meine Fahrbahn noch dazu.

Wusch! Eine Ladung Schnee eines eifrigen Anwohners landet jetzt direkt vor meinem Auto. Da hilft nur noch die Traktionskontrolle und forsches Anfahren. Der Matsch spritzt hoch. So was Dummes! Etwas weiter eine Mutter mit Kinderwagen auf der Straße. Die Gehwege sind zwar geräumt, doch der überflüssige Schnee sorgt schön aufgetürmt dafür, dass man sie nur schwer betreten kann.

An der nächsten Kreuzung kommt von links ein Radfahrer angerutscht. Wie kann man bei einem solchen Wetter so vermummt Rad fahren? Erklär mir das einer. Es lebe die Traktionskontrolle. So stehe ich wenigstens nicht ganz quer auf der Straße. Der Radfahrer, mit gut fünf Meter Abstand zu meiner Kühlerhaube, zeigt mir den Vogel und trappelt nach rechts weiter. Merke: Radfahrer dürfen sich alles erlauben. Für sie gilt keine Verkehrsregel. Rechts vor links schon gar nicht. Und warum braucht man bei Dunkelheit Licht? Auf so was musst du als Autofahrer immer doppelt und dreifach aufpassen. Sonst bist du dabei.

Vorne an der Hauptstraße ist wieder warten angesagt. Von links ein Minivan, beladen mit einer Herde Zwerge und einer genervten Mutter. Diese biegt dann zackig in meine Straße ein, steckt fast in meiner Fahrertür und kommt wegen der Verkehrsberuhigung nicht weiter. Natürlich ohne zu blinken: „Ratet mal, wo ich hinfahre!“ Es hupt wieder. Dieses Mal vom Fahrzeug hinter der Legehenne. Der nachfolgende Fahrer konnte gerade noch bremsen, sonst hätte ich meine Fahrertür tatsächlich erneuern müssen.

Hinein auf die Hauptstraße, die gelegentlich auch mal vom Schnee geräumt wird, sofern sie unser Bürgermeister benutzt. Denn der ist einige Winter zuvor wegen der kommunalen Sparzwänge selbst mal mit seinem Auto auf ein Verkehrsschild gerutscht. Das darf nicht wieder vorkommen!

Und da ist sie schon: die größte Erfindung, seit es Straßenbaufirmen gibt. Der nächste Kreisel. Ich liebe Kreisverkehr. Wenn du hinein fahren willst, musst du erstmal warten, ob jemand blinkt und danach auch abbiegt. Gut, viele biegen auch ab ohne zu blinken. Warum auch mit anderen Autofahrern kommunizieren, wenn man die Möglichkeit dazu hat? Die werden schon merken, dass man weg ist. Manche blinken auch, wenn sie hinein fahren und haben dann beide Hände am Lenkrad und können den Blinker nicht zurück stellen. Ich hätte lieber noch zwei Hände im Kofferraum, um die umfallenden Einkaufstüten zu retten. Gut, dann gibt es eben heute wieder Rührei!

Auf der Landstraße kannst du dann einigermaßen fahren, wenn du berücksichtigst, dass der angetaute Matsch noch nicht ganz gefroren ist. Hinter mir große Lichthupe. Großer LKW. Zweispänner. Gewicht nach Steuerklasse. Zulässiges Gesamtgewicht nach Auftragslage. Bereifung nach Gewinnmaximierung. Zwischen meinem Heck und seiner Schnauze ein Abstand von einem halben Tacho-Durchmesser. Schert aus, setzt zum überholen an und versaut mir mit seinem hoch gespritzten Dreck die ganze Windschutzscheibe. Mit 100 Sachen! Schlittert zurück auf die Fahrbahn, den Randstreifen, die Fahrbahn, den Randstreifen, wieder auf die Fahrbahn. Ein Leitpfosten fliegt in den Wald und das mir entgegenkommende Fahrzeug hupt und blinkt, als ob es um sein Leben gegangen wäre.

Kinder, ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin. Nein, das ist kein Wintermärchen. Das ist nackte Realität!

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